
Die Welt aus Pferdesicht: Wie Pferde hören, sehen und fühlen
Pferde sind hochsensible Tiere mit einem ausgeprägten Wahrnehmungsvermögen. Im Laufe der Evolution haben sich ihre Sinne an das Leben als Fluchttier angepasst. Wer ihre Sinneswelt versteht, kann im Training und im Alltag feiner, sicherer und pferdegerechter mit ihnen umgehen. Dieser Artikel wirft einen Blick auf die Sinneswelt des Pferdes, aus seiner Perspektive.
Hören: Kommunikation auf feinster Frequenz
Pferde haben ein ausgezeichnetes Gehör. Ihre Ohren lassen sich unabhängig voneinander um fast 180 Grad drehen und können Schallquellen präzise orten. Dabei reagieren sie nicht nur auf laute Geräusche, sondern auch auf die leisesten Töne. Weit besser als der Mensch!
Wichtige Merkmale des Pferdegehörs:
– Geräuschwahrnehmung im Ultraschallbereich: Pferde hören auch Frequenzen über 20.000 Hz, also Geräusche, die für den Menschen nicht hörbar sind.
– Empfindlichkeit gegenüber plötzlichen, ungewohnten Geräuschen: Knacken im Gebüsch oder entfernte Motorengeräusche können Fluchtreaktionen auslösen.
– Ohrenspiel als Ausdrucksform: Die Stellung der Ohren zeigt Stimmungen wie Aufmerksamkeit, Entspannung, Misstrauen oder Aggression an.
Für den Umgang mit Pferden bedeutet das: Laute Stimmen, hektische Geräusche oder Musik können schnell Stress auslösen, während ruhige, gleichmäßige Geräusche beruhigend wirken.
Sehen: Ein weiter Blick mit blinden Flecken
Das Sehvermögen von Pferden unterscheidet sich deutlich von dem des Menschen, sowohl in der Reichweite als auch in der Wahrnehmung. Pferdeaugen sind seitlich am Kopf angeordnet, was ihnen ein extrem weites Gesichtsfeld ermöglicht.
Besonderheiten des Pferdeblicks:
– Rundumsicht von etwa 340 Grad: Fast der komplette Raum um das Pferd herum ist einsehbar.
– Es gibt zwei blinde Flecken: einen direkt vor der Stirn und einen direkt hinter dem Pferd.
– Die Farbenwahrnehmung ist eingeschränkt: Pferde erkennen vor allem Blau- und Gelbtöne; Rot erscheint oft grau oder braun.
– Bewegungen werden besser erkannt als Details: Ein flatterndes Blatt erregt mehr Aufmerksamkeit als ein stillstehendes Hindernis.
Trotz des weiten Sichtfelds müssen Pferde den Kopf senken oder neigen, um nahe Objekte scharf zu sehen. Veränderungen des Lichts (z. B. beim Betreten eines dunklen Anhängers) können Pferde irritieren, da sich ihre Augen langsamer anpassen als die des Menschen.
Fühlen: Feine Haut, starkes Gespür
Die Haut des Pferdes ist äußerst sensibel. Selbst eine Fliege auf dem Fell wird sofort bemerkt. Die hohe Dichte an Nervenenden macht das Pferd besonders empfänglich für Berührungen, Druck und Temperaturveränderungen.
Charakteristika des Tastsinns:
– Hochsensible Körperregionen sind: Maul, Nüstern, Ohren, Bauch, Flanken und Innenschenkel.
– Reaktionen auf feinste Reize: Schon ein leichter Druck mit der Wade oder ein Hauch Wind können Reaktionen auslösen.
– Taktiles Lernen: Pferde merken sich Berührungen, Druckpunkte und Bewegungsabläufe – auch negativ besetzte.
Ein sanfter, klarer Körperkontakt ist daher weitaus wirkungsvoller als grobes oder unüberlegtes Einwirken. Auch Putzroutinen oder Ausrüstung (z. B. schlecht sitzende Sättel) sollten auf Druckverteilung und Reibung hin überprüft werden.
Schlusswort: Verständigung beginnt mit Verständnis.
Pferde nehmen ihre Umgebung anders wahr als Menschen, nicht schlechter oder besser, sondern angepasst an ihre Natur als Fluchttiere. Wer lernt, die Sinne des Pferdes zu verstehen und zu respektieren, schafft die Grundlage für eine echte Partnerschaft. Reizüberflutung vermeiden, Kommunikation über Körpersprache verbessern und Berührung gezielt einsetze. Das sind keine Trainingsmethoden, sondern Ausdruck von Achtsamkeit.
Denn wer sich in ein Pferd hineinversetzt, sieht mehr, im wahrsten Sinne des Wortes.